„Ein Gespenst geht um in Braunschweig – das Gespenst der Velorouten. Doch alle Mächte des alten Braunschweigs haben sich zu einem Kulturkampf dagegen verbündet …“ – so ähnlich hätten Karl Marx und Friedrich Engels das Thema vielleicht heute kommentiert. Ein Blick in die Medien:
„Parkärger in Braunschweig: Bedroht Veloroute Einzelhändler?“ (BZ vom 16.5.2025)
„IHK: Velorouten bedrohen die Wirtschaft“ (BZ 18.6.)
„Politik gegen das Auto gefährdet die Rolle als Oberzentrum“ (Braunschweig im focus, Mai 2025)
„Rot-Grün legt die Axt an die Braunschweiger Innenstadt“ (CDU-Ratsherr Thorsten Köster auf Instagram)
Man könnte fast meinen, dass der 2020 mit großer Mehrheit im Rat beschlossene Ausbau unserer Radverkehrsanlagen unweigerlich den wirtschaftlichen, kulturellen und wahrscheinlich dann auch moralischen Niedergang der ehemaligen Hansestadt Braunschweig heraufbeschwört. Aber falsche Argumente werden durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Ich versuche mal in aller Kürze ein paar Erwiderungen:
„Das Auto ist heute das wichtigste Verkehrsmittel.“
Das stimmt leider – aber nur, wenn man den Platzbedarf betrachtet. Braunschweig hat ca. 250000 Einwohner*innen und 150000 gemeldete Pkw – im Mittel entfällt zwar auf jede Person zwischen 18 und 80 Jahren mindestens ein Auto, aber 21 % der Haushalte besitzen gar keins. Politik muss aber auch für die Menschen gemacht werden, die sich kein Auto leisten können (oder wollen). Von den 3 bis 4 Wegen, die jede*r Einwohner*in täglich zurücklegt, werden 29 % zu Fuß, 26 % mit dem Fahrrad, 9 % mit Bus oder Bahn und nur die restlichen 36 % mit dem Auto zurückgelegt (Quelle: Repräsentative Befragung der TU Dresden für Braunschweig, Daten aus 2023). Der Anteil der Wege mit Fuß/Fahrrad/ÖPNV überwiegt also, diese Verkehrsarten haben aber wesentlich weniger Verkehrsfläche zur Verfügung als Autos, mit der Folge, dass in vielen Straßen neben breiten Fahrbahnen und Parkstreifen nur noch schmale Wege für Fuß- und Radverkehr bleiben. Übrigens fahren in meist viersitzigen Autos im Durchschnitt nur 1,2 Personen, und die Rückbank bleibt meistens leer – wenn die Autos kleiner wären, wären auch die Staus und Parkstreifen kürzer.
„Die Innenstadt floriert nur, wenn sie mit dem Auto gut erreichbar ist.“
Es ist längst nicht mehr typisch, mit einem Auto nur in die Stadt nur zu kommen, um einzukaufen und hochwertige Waren im Kofferraum wieder mitzunehmen. „Einkaufen“ als Grund, die Innenstadt zu besuchen, nennen zwar zwei Drittel der Befragten, aber jeweils die Hälfte gibt auch „Gastronomie“ und/oder „Stadtbummel/Geselligkeit“ als Besuchsgrund an. Das geht bekanntlich oft auch ohne Auto – im Gegenteil: Außengastronomie zwischen parkenden Autos ist eher ungemütlich. Das Magniviertel hat durch die neue Fußgängerzone Am Ölschlägern deutlich mehr Aufenthaltsqualität. Im Vergleich zu Niedersachsen insgesamt kommen in Braunschweig mehr Menschen mit Fahrrad, ÖPNV oder zu Fuß in die Innenstadt und weniger mit dem Auto (Quelle: CIMA-Zentrenstudie Niedersachsen&Bremen, 2024). Das liegt sicherlich nicht an den noch gar nicht gebauten Velorouten, sondern daran, dass sich das Verhalten der Menschen generell vom Auto auf andere Verkehrsarten verlagert. Immerhin kostet eine Autofahrt mit einem kleinen PKW schon mindestens 40 Cent/km (Quelle: ADAC.de, Stichwort Autokosten, einschl. Wartung und Wertverlust), eine Fahrt über 25 km in die Braunschweiger Innenstadt und wieder zurück also schon mal 20 €. Dieses Geld kann man dann in der Stadt eben nicht mehr ausgeben.
„Lieber bestehende Radwege instandsetzen als für viel Geld neue bauen.“
Es gibt in der Tat viele reparaturbedürftige Radwege in der Stadt – wer viel mit dem Fahrrad unterwegs ist, kennt die Huckel und Schlaglöcher schon auswendig. Ab und zu findet auch mal eine Deckenerneuerung im Bestand statt, aber das reicht nicht – das Budget für Deckenerneuerungen müsste erhöht werden. Aber das größere Problem sind unzureichende Breiten der Radwege, zu enge Kurven und/oder ein fehlender Sicherheitsabstand zum Parkstreifen, mit der Gefahr von Dooring-Unfällen. An vielen Stellen hilft keine Reparatur, sondern nur ein Neubau mit einer Neuaufteilung der Verkehrsflächen. Auf dem abschüssigen Abschnitt der viel diskutierten zukünftigen Veloroute Helmstedter Straße gibt es gar keinen Radweg, den man instandsetzen könnte. Hier teilen sich zur Zeit noch täglich etwa 6000 Autos, 2000 Fahrräder und stündlich 8 Busse eine Fahrbahnbreite von nur 7 Meter – wer mit dem Fahrrad mit 15 km/h bergauf fährt, kann kaum überholt werden, ohne dass Kfz den vorgeschriebenen Abstand von 1,50 m unterschreiten. Auch der Vorschlag, die Strecke einfach als Fahrradstraße auszuweisen, würde praktisch nichts am Verkehrsgeschehen ändern. Außerdem sieht der Standard für Fahrradstraßen vor, dass aus Gründen der Sicherheit kein Durchgangsverkehr stattfindet. Der demnächst beginnende Umbau dieses Teils der Helmstedter Straße mit beidseitigen und baulich getrennten Radwegen ist also unerlässlich.
„Man kann nicht mehr vor der eigenen Haustür parken.“
Die Zeiten, in denen man schnell mal einen Parkplatz vor der Haustür gefunden hat, sind fast überall vorbei. Aber nicht Radwege nehmen den Platz weg, sondern die Autos der Nachbarn oder (in den innerstädtischen Wohnquartieren) der Menschen, die kurz vor der Innenstadt noch schnell einen kostenlosen Parkplatz ansteuern, anstatt in die Parkhäuser zu fahren, die im Jahresmittel nur zur Hälfte ausgelastet sind. Für das Umfeld der Helmstedter Straße wird es eine Parkraumbewirtschaftung geben, die Anwohnerparkplätze, Kurzzeitparkplätze für Geschäfte und Praxen vorsieht. Sie wurde in einer öffentlichen Veranstaltung im März vorgestellt, in den Stadtbezirksräten beschlossen und kann auf der städtischen Homepage eingesehen werden. In Stadtteilen innerhalb der Okerumflut z.B. auf dem Wallring, wo kürzlich eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt wurde, bleiben Dauerparker jetzt aus.
„Die Helmstedter Straße bleibt ein Jahr voll lang gesperrt – nur um eine Veloroute zu bauen.“
Das stimmt überhaupt nicht. Im Abschnitt Helmstedter Straße zwischen Kastanienallee und Museumstraße wird nicht nur die Veloroute gebaut. Zusätzlich werden Abwasserkanäle erneuert, zwei Bushaltestellen werden barrierefrei, ein weiterer Fußgängerüberweg angelegt und die Einmündung an der Kastanienallee umgebaut. Von dort bis zum Marienstift wird die Helmstedter Straße dann zu einer ruhigen Wohnstraße – übrigens ohne, dass hier Parkplätze entfallen. In der ganzen Zeit bleiben die Grundstücke für Autos, Müllabfuhr und Rettungsdienste erreichbar, nur Durchgangsverkehr wird nicht möglich sein. Übrigens, auch weiter stadtauswärts werden die für Radfahrende schwierigen Querungen des Altewiekrings und der Georg-Westermann-Allee noch einmal verbessert.
„Alles passiert über die Köpfe der Bürger hinweg.“
Das stimmt ebenfalls nicht. Außer gut besuchten öffentlichen Informationsveranstaltungen gab es viele Anfragen von Anwohnenden in den Stadtbezirksräten, im Ausschuss des Rates für Mobilität und Tiefbau und weitere nichtöffentliche Gesprächsrunden mit der Verwaltung. In der Folge wurden z.B. die Radwegführung auf der Museumstraße und die Planungen für die Einmündung an der Kastanienallee noch einmal geändert, und die Pläne wurden in den genannten Gremien einige Stunden lang diskutiert und dann mehrheitlich beschlossen.
Fazit: Die Argumente gegen den Ausbau des Braunschweiger Radwegenetzes sind nicht haltbar – bei näherem Hinsehen sind es eher „gefühlte Fakten“ oder auch nur Eigeninteresse. Gut, dass unser grüner Kreisverband das ebenso sieht und uns in der Grünen Ratsfraktion den Rücken stärkt.
Heute noch: Gedrängel auf der Helmstedter Straße – demnächst: Sichere Radwege ähnlich wie hier (Fotos: Burkhard Plinke)
Fragen und Diskussionsbeiträge gerne an Burkhard Plinke, Sprecher für Radverkehr, Email burkhard.plinke@gruene-braunschweig.de
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