Am 28. Februar 2019 erreichte 5 unserer 7 Ratsmitglieder eine Anfrage der Braunschweiger Zeitung (BZ) zum Internationalen Frauentag am 8. März. Unsere Fraktionsvorsitzenden und unsere Ratsfrauen sollten die folgenden 3 Fragen von Cornelia Steiner (Stellv. Leiterin der Lokalredaktion) zum Thema „Frauen in Parlamenten“ beantworten:
1. Frage: Was halten Sie von einer gesetzlichen Frauenquote für die Parlamente (vom Rat der Stadt bis zum Bundestag)?
2. Frage: Der Frauenanteil liegt ja nicht nur in den Parlamenten unter 50 Prozent, sondern auch in allen Parteien. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür? Hat es zum Beispiel mit starken Männerseilschaften zu tun, oder sind Frauen zu zurückhaltend? Was müsste sich ändern?
3. Frage: Was würde sich ändern, wenn Frauen in allen Parlamenten (also auch im Rat der Stadt) so vertreten wären, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht? Gäbe es zum Beispiel eine andere Art der Kommunikation oder andere Ergebnisse?
Die aufschlussreichen Antworten von Elke Flake, Beate Gries, Lisa-Marie Jalyschko, Rainer Mühlnickel und Annika Naber dokumentieren wir hier in alphabetischer Reihenfolge (der Nachnamen):

Alle Antworten auf die 1. Frage: Was halten Sie von einer gesetzlichen Frauenquote für die Parlamente (vom Rat der Stadt bis zum Bundestag)?
Antwort von Elke Flake: Ich war in früheren Jahren eher skeptisch, eine verbindliche Frauenquote für kommunale Gremien und Parlamente vorzuschreiben. Ich bin inzwischen aber vollkommen davon überzeugt, dass es nicht anders geht. Nur durch eine verbindliche Quotierung werden wir in der Politik einen Frauenanteil erreichen, der auch dem gesellschaftlichen Anteil entspricht. Mit 30,8 % ist der Frauenanteil im Bundestag so niedrig wie vor 20 Jahren, in den kommunalen Gremien dümpelt er bundesweit zwischen 20 und 25 %. Und diese schon erschreckend niedrige Zahl wird nur deshalb erreicht, weil Parteien wie Grüne, Linke und SPD eine verbindliche Frauenquote von bis zu 50 % bei der Listenaufstellung vorschreiben. Eine Frauenquote tut übrigens nicht weh. Wir Grüne leben gut und erfolgreich mit einer klaren Quotierung seit unserer Gründung.
Antwort von Beate Gries: Demokratie bedeutet, dass die Befehlsgewalt beim Volk liegt und lebt von dem Grundgedanken, dass die Anliegen der gesamten Gesellschaft im politischen System repräsentiert werden. Meiner Meinung nach sind geschlechtergerechte Quoten in allen Parlamenten wesentlich, um diesen Anspruch der demokratischen Idee tatsächlich zu erfüllen. In den 80-iger und 90-iger Jahren konnte ich durch meine Ausbildung und Tätigkeit in einem Männerberuf persönlich erleben, was es bedeutet, wenn bei einer Quote von zwei Frauen unter 50 Männern eine Parität nicht im geringsten gegeben ist. Eine Quote befürworte ich trotzdem. Eine 50-Prozent-Quote in den politischen Gremien, die bereits über die Listenaufstellung eine gleichmäßige Quotierung gewährleistet, kenne ich aus meiner eigenen Partei und erlebe sie mehrheitlich positiv. Daher unterstütze ich die Idee der Tandems bei den Direktkandidaten.
Antwort von Lisa-Marie Jalyschko: Ich befürworte ein Paritätsgesetz nach Brandenburgerischem Vorbild. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen führt leider dazu, dass sich ohne verbindliche Vorgaben nichts ändert.
Antwort von Rainer Mühlnickel: Wir Grünen haben mit unserer – von Anfang an und auf allen Ebenen – geltenden Frauenquote von 50 % sehr gute Erfahrungen gemacht. Insofern hätte ich mit einer gesetzlichen Frauenquote für sämtliche Parlamente keine Probleme – im Gegenteil. Grüne Vertreter*innen sind bei der Diskussion um die Parität bundesweit vorne mit dabei, ob in Bayern, Brandenburg oder Bremen. Und auch in Braunschweig kann sich unser Grüner Frauenanteil im Rat sehen lassen: 4 unserer 7 Ratsmitglieder sind Frauen. Zudem wird unsere Ratsfraktion von einer Frau und einem Mann geführt, unser Kreisverband sogar von 2 Frauen. Fraktions- und Parteiführung sind bei uns also überwiegend in weiblicher Hand!
Dass der Frauenanteil im Rat trotzdem mit 19 (zu Beginn dieser Wahlperiode noch 20) von 54 Abgeordneten eher bescheiden ist, liegt insbesondere an der CDU (3 Frauen, 11 Männer), aber auch an AfD (eine Frau, 4 Männer) und FDP (2 Männer). SPD (anfangs 9 Frauen, 9 Männer / mittlerweile 8 Frauen, 10 Männer) und Linke (2 Frauen, ein Mann) sind dagegen wie wir Grünen vorbildlich quotiert. Allerdings haben die „linken“ Parteien auch einen wesentlich höheren Frauenanteil in der Mitgliedschaft als die „rechten“. Wir Grünen liegen da übrigens mit 39,8 % an der Spitze, weit vor dem Schlusslicht AfD mit 17,0 %. Schön, dass wir für weibliche Mitglieder so attraktiv sind – das ist auch bei der aktuellen Eintrittswelle in unseren Kreisverband deutlich zu spüren!
Antwort von Annika Naber: Aus meiner Sicht sollten Parlamente möglichst ein Abbild der Gesellschaft sein. In den aktuellen Gesprächen über ein Paritäts-Gesetz wird die Auseinandersetzung weiterhin auf weibliche und männliche Geschlechter begrenzt – gleichwohl ich an dieser Stelle anmerken möchte, dass langfristig auch das dritte Geschlecht mitgedacht werden müsste, um eine Geschlechtergerechtigkeit herzustellen.
Da in Deutschland fast gleich viele Männer wie Frauen leben, sollten Parlamente meiner Meinung nach im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu 50 % mit Frauen und zu 50 % mit Männern besetzt sein. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen wird deutlich, dass ein konsequenteres Vorgehen im Sinne einer Frauen-Quote notwendig ist, um ein entsprechendes Abbild der Gesellschaft zu erzielen.
Alle Antworten auf die 2. Frage: Der Frauenanteil liegt ja nicht nur in den Parlamenten unter 50 Prozent, sondern auch in allen Parteien. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür? Hat es zum Beispiel mit starken Männerseilschaften zu tun, oder sind Frauen zu zurückhaltend? Was müsste sich ändern?
Antwort von Elke Flake: „Quotierungs-Parteien“ haben auch in ihrer Mitgliederzusammensetzung einen deutlich höheren Frauenanteil als die anderen. Während beispielsweise der Anteil der weiblichen Mitglieder bei den Grünen fast 40 % erreicht, liegt er bei der die Quotierung ablehnenden FDP nur etwas über 20 %. Aber für alle Parteien gilt: Die Arbeit der Parteien folgt zu oft tradierten, männlich geprägten Strukturen. Das gilt für Hierarchien, Machtnetzwerke, ein von Konkurrenz und Streitkultur geprägtes Klima, bis hin zu einer abgehobenen Parteiensprache. Teamarbeit und Gemeinschaft kommen da oft zu kurz.
Antwort von Beate Gries: Das ist ein tiefergehendes Thema, dass kaum in der hier gebotenen Kürze abgehandelt werden kann. Ein Versuch: Beides hat nach meiner Erfahrung einen Anteil.
Auch die Parteien sind ein Spiegel unserer Gesellschaft und tragen dazu bei, die strukturelle Ungleichheit im Geschlechterverhältnis zu festigen. Als ich 1962 geboren wurde, durfte meine Mutter von Amts wegen noch nicht einmal ein eigenes Bankkonto eröffnen. Wir haben im letzten Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert, aber erst vor zwei Generationen (1969) wurde einer verheirateten (!) Frau in West-Deutschland die Geschäftsfähigkeit zugestanden. Da war ich gerade in die 2. Klasse gekommen. So kurz ist das her!
Noch weitere 10 Jahre war es Frauen in West-Deutschland nicht möglich, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, wenn der Ehemann sein Einverständnis dazu verweigerte. Die bis 1977 – von nicht paritätisch besetzten Parlamenten – gesetzlich fixierte wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau von einem Mann wirkt in meiner Wahrnehmung noch nach und ist noch nicht aus dem Unterbewusstsein – auch nicht dem von Frauen – verschwunden.
Wir müssen Mädchen und junge Frauen in der gesamtgesellschaftlichen Erziehung in ihrer Persönlichkeitsbildung ermutigen, Wünsche und Forderungen klar zu formulieren anstelle der Vorstellung, dass sie von allen geliebt werden müssen. Wer Bestehendes verändern will, eckt an. Auch Mädchen müssen bestärkt werden, Ablehnung auszuhalten und weiter zu machen.
Auch wenn junge Frauen sich mit dem fordernden Feminismus heute nicht mehr identifizieren können, weil ihnen theoretisch alle Wege offen stehen: Noch immer machen Frauen im Haushalt und der Kindererziehung den größten Teil der Arbeit. Dadurch fehlt es ihnen an Zeit und Energie für andere – eben auch politische – Aktivitäten.
Der mitunter harte und aggressive verbale Schlagabtausch der männlich dominierten Parlamente schreckt auch viele Frauen ab. So werden Frauen in Politik und Verwaltung von Männern als Verhandlungspartner häufig nicht ernst genommen. Das wird sich meiner Meinung nach schnell ändern, wenn Parlamente geschlechtergerecht besetzt werden.
Antwort von Lisa-Marie Jalyschko: Es existiert eine Vielzahl von Gründen, die aber alle mit gesellschaftlichen Rollenvorstellungen und der damit verbundenen Abwertung von Frauen bzw. “Weiblichkeit“ zusammenhängen. Über alle Parteien hinweg werden mittelmäßige Männer oft gefördert, während von Frauen Bestleistungen erwartet werden, um überhaupt ernst genommen zu werden. Noch dazu kommt die ungleiche Verteilung von Ressourcen: Wer hat überhaupt die Zeit, sich bei Abendveranstaltungen in Parteien zu engagieren? Und wer kocht zuhause währenddessen das Abendessen für die Familie?
Antwort von Rainer Mühlnickel: Ändern müsste sich m. E. in erster Linie die klassische Rollenverteilung in der Familie. Es sind ja größtenteils immer noch die Frauen, die sich um die Erziehung der Kinder, die Pflege der Eltern und die Erledigung der Hausarbeit kümmern. Dabei gehen die meisten Frauen ja auch noch einer Berufstätigkeit nach, was oftmals zu der bekannten Doppelbelastung und der sog. „Teilzeitfalle“ führt. Hier bräuchte es sozusagen eine Männerquote: 50 % der Familien- und Hausarbeit sollten wir Männer übernehmen, dann hätten viel mehr Frauen Zeit und Lust, sich in politischen Parteien und Gremien zu engagieren! Leider definieren sich Männer allzu oft nur über die Berufstätigkeit und Höhe der Gehaltsliste. Eine sinnvolle und notwendige Auszeit mit der Familie oder für sich selbst wird gerade in den Männerdomänen Beruf und Politik negativ bewertet. Diese Einstellung muss sich dringend ändern.
Antwort von Annika Naber: Auch wenn eine Quotierung seitens einer Partei gesetzt ist, kann sie nach meiner Erfahrung zu Herausforderungen bei den Listenaufstellungen führen. Ein von Ihnen genannter Grund liegt darin, dass in den Parteien weniger Frauen als Männer vertreten sind. Jenseits von Listenaufstellungen und parlamentarischer Arbeit bieten Parteien verschiedene Möglichkeiten zur Beteiligung, durch die sich Frauen und Männer in gleicher Weise einbringen können. Ein wesentlicher Schritt liegt für mich darin, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen und bereits bei Listenaufstellungen strategisch so abgestimmt vorgehen sollten, dass am Ende auch die Fraktionen in den jeweiligen Parlamenten paritätisch besetzt sein werden. Eine paritätische Besetzung setzt in diesem Sinne voraus, dass innerhalb einer Partei eine Geschlechtergerechtigkeit gelebt wird, auf die eine persönliche Begeisterung für politische Arbeit treffen kann.
Alle Antworten auf die 3. Frage: Was würde sich ändern, wenn Frauen in allen Parlamenten (also auch im Rat der Stadt) so vertreten wären, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht? Gäbe es zum Beispiel eine andere Art der Kommunikation oder andere Ergebnisse?
Antwort von Elke Flake: Frauen sind keine besseren Menschen, trotzdem dürfte sich bei einer gleichgeschlechtlichen Verteilung Vieles ändern. Das gilt schon für die Themen. Dann spielen wahrscheinlich im Stadtrat Themen wie Bildung, Familienpolitik, Kinderbetreuung, Umwelt oder das soziale Zusammenleben mindestens so eine wichtige Rolle wie Stadtplanung, Verkehr, Sport oder die Feuerwehr. Bezüglich der Diskussionskultur könnten mehr Teamgeist, das gemeinsame Ringen nach Lösungen und Kompromissbereitschaft die bisherige Rechthabepolitik und die rein ums Prinzip geführten Antrags-Machtkämpfe ablösen.
Antwort von Beate Gries: Frauen kommunizieren anders. Sie „klüngeln“ weniger in den Hinterzimmern. Rangordnung, Macht und Geltungsdrang sind bei uns weniger ausgeprägt. Im Moment laufen die Prozesse in den Parlamenten auch nach den Spielregeln männlicher Kommunikation. Je mehr Frauen in einer Runde am Tisch sitzen, umso mehr Geltung bekommen automatisch auch die Spielregeln weiblicher Kommunikation. Wenn Frauen und Männer zu gleichen Teilen gestalten und an Entscheidungen mitwirken, erwarte ich auch in den Parlamenten eine andere Themensetzung mit entsprechender Wirkung.
Antwort von Lisa-Marie Jalyschko: Aktive politische Partizipation ist meiner Meinung nach ein Wert für sich und ein Schritt hin zum Abbau ungleicher Machtverhältnisse. Es gibt kaum einen Aspekt des Parlamententums, der nicht von der stärkeren Präsenz von Frauen beeinflusst werden würde. Demokratie heißt nämlich nicht nur, dass jede*r mitspielen darf, sondern auch, dass alle die Spielregeln mitbestimmen.
Antwort von Rainer Mühlnickel: Ich glaube schon, dass sich die politische Arbeit im Braunschweiger Rat spürbar ändern würde, wenn dieser komplett quotiert wäre. Zwar kann man weder alle Frauen noch alle Männer „über einen Kamm scheren“, aber meiner Wahrnehmung nach sind viele Frauen eher sachorientiert, während viele Männer eher machtorientiert sind. Männer sind oftmals gute Selbstdarsteller, Frauen stellen leider viel zu oft „ihr Licht unter den Scheffel“. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Ausloten von interfraktionellen / parteiübergreifenden Kompromissen dürfte bei einem höheren Frauenanteil leichter fallen.
Antwort von Annika Naber: In politischen Gremien werden viele Themen beraten, die einen Querschnitt zwischen mehreren Bereichen der Gesellschaft bilden – z. B. werden Themen zu Wohnen meistens sowohl im Ausschuss für Soziales und Gesundheit (AfSG) als auch im Planungs- und Umweltausschuss (PlUA) beraten, so dass zwei Fachausschüsse ihre Perspektiven und Empfehlungen einbringen. Innerhalb der Ausschüsse ist jedoch eine paritätische Besetzung notwendig, damit bei einer Entscheidung neben der reinen Fachlichkeit auch die unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer in den Blick genommen worden sind. Gender Mainstreaming gehört aus meiner Sicht zu jeder Entscheidung dazu – es kann jedoch nur dann konsequent verfolgt werden, wenn der Anteil von Frauen und Männern auch dem der Gesellschaft entspricht.
Des Weiteren erlebe ich die Beratungen in den Ausschüssen eher so, dass Frauen eine Auseinandersetzung durch das Aufwerfen von Fragen führen, die wiederum zu einem Dialog führen. Nicht selten entstehen durch die Auseinandersetzung in den Ausschüssen andere Ergebnisse als ursprünglich erwartet.
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
im Rat der Stadt Braunschweig
Rathaus, Zi. A 1.60/61
38100 Braunschweig
Tel.: 05 31/470-32 98
Fax: 05 31/470-29 83
E-mail: gruene.ratsfraktion(at)braunschweig.de
Internet: http://www.gruene-braunschweig-ratsfraktion.de
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