
Antworten unseres OB-Kandidaten Holger Herlitschke auf Fragen des AK Biologische Vielfalt vom 06.05.2014
Erläuterung: Der Arbeitskreis Biologische Vielfalt ist ein Zusammenschluss der wichtigsten Braunschweiger Umweltgruppen (BUND, NABU und andere Organisationen)
Einleitung: Die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ ist durch die Bundesregierung im Jahr 2007 beschlossen worden. Ziel der Strategie ist es, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren und zu bündeln, so dass die Gefährdung der biologischen Vielfalt in Deutschland deutlich verringert, schließlich ganz gestoppt wird und als Fernziel die biologische Vielfalt einschließlich ihrer regionaltypischen Besonderheiten wieder zunimmt.
Frage 1: Welchen Stellenwert hat für Sie der Erhalt der Biologischen Vielfalt und was wären Ihre Umsetzungsschwerpunkte für Braunschweig?
Antwort 1: Der Erhalt der Biologischen Vielfalt in unserer Stadt hat für mich einen hohen Stellenwert. Einer meiner Umsetzungsschwerpunkte wird die Herstellung eines sogenannten Biotopverbundsystems sein. Projekte wie die erfolgreiche Renaturierung der Schunter gehören dazu und schaffen neue Lebensräume für seltene und / oder bedrohte Tier- und Pflanzenarten.
Frage 2: Benötigen die vorhandenen Instrumente zur Förderung und Sicherung der Biologischen Vielfalt (z.B. Landschaftsrahmenplan, Artenschutzkonzept) eine Ergänzung? Würden Sie die Aufstellung einer kommunalen Biodiversitätsstrategie, wie sie bereits in etlichen anderen Städten vorliegt (z.B. Hannover, Erfurt, Augsburg) auch für Braunschweig befürworten?
Antwort 2: Beide Fragen kann ich nur mit Ja beantworten. Durch unsere derzeitige Lebensweise (Stichwort „autogerechte Stadt“ aber auch die sog. „Agrarwüste“) sind Lebensräume stark eingeschränkt oder durch einseitige Nutzung stark verarmt. Hierdurch ist die Biologische Vielfalt an vielen Stellen stark gefährdet. Hier würde eine kommunale Biodiversitätsstrategie sicherlich weiterhelfen.Der Rat der Stadt Braunschweig hat dazu auf Antrag bereits im Februar 2012 einstimmig mit der Entscheidung, die Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“ zu unterzeichnen, einen entsprechenden Grundsatzbeschluss gefasst. Dessen Umsetzung ist allerdings noch nicht abschließend erfolgt.
Frage 3: Der LRP (Landschaftsrahmenplan) von 1999 zeigt im Braunschweiger Stadtgebiet 60 Flächen, die die Kriterien erfüllen, um als Naturschutzgebiet ausgewiesen zu werden. Dennoch wurden in den letzten 15 Jahren nur 3 dieser Flächen unter Naturschutz gestellt. Werden Sie Neuausweisungen unterstützen?
Antwort 3: Ja, auf jeden Fall. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir zur nächsten Ratssitzung am 27. Mai 2014 eine Anfrage mit dem Titel „Flächenbilanz für Braunschweig“ gestellt. Mit dieser Anfrage wollen wir die Entwicklung der Flächennutzungen innerhalb des Stadtgebietes thematisieren. Ein wesentlicher Faktor für die Lebensqualität ist meines Erachtens der Anteil von Grünflächen in Wohngebieten, die Nähe von Erholungsflächen zu Wohnungen sowie die – das Stadtklima beeinflussenden – unbebauten und begrünten Flächen in der Stadt. Während in den städtischen Pressemitteilungen der letzten Jahre stets stolz auf den Zuwachs an Baugebieten hingewiesen wurde, war die Aufmerksamkeit weitaus weniger auf den Schutz von Freiflächen gerichtet. Mehrfach wurden Flächen aus dem Schutzstatus eines Landschaftsschutzgebietes entlassen, zu Gunsten der Flughafenerweiterung wurde widersinnig sogar ein neuer Schutzstatus geschaffen, um den daraus resultierenden Schutz des betroffenen Waldes gleich wieder aufheben zu können! Diese überzogen investorenfreundliche und naturschutzfeindliche Stadtentwicklung möchte ich als Oberbürgermeister ändern und dem Naturschutz wieder das Gewicht verleihen, das seiner Bedeutung für unsere Zukunft entspricht.

Frage 4: Was kann die Stadt Braunschweig tun, um die Biologische Vielfalt in Braunschweigs Wäldern zu erhöhen? Ist dafür eine ökologische Bewirtschaftung zu fordern? Oder ein Nutzungsverzicht?
Antwort 4: Die Stadt könnte ähnliche Kooperationen wie beim Urwald-Projekt mit der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK) und dem Förderkreis Umwelt- und Naturschutz Hondelage (FUN) auch an anderer Stelle eingehen. Aus unserer Sicht muss jedoch nicht zwangsläufig ein „Nutzungsverzicht“ für alle Wälder erfolgen. Eine extensive Bewirtschaftung ermöglicht durchaus auch Chancen für die biologische Vielfalt. Wir sehen hier Möglichkeiten, wie die Stadt auch über einen „Vertragsnaturschutz“ mit WaldeigentümerInnen erfolgreich kooperieren kann.
Frage 5: Die verfasste Jägerschaft ist ein anerkannter Naturschutzverband. Halten Sie das für gerechtfertigt?
Antwort 5: Die Anerkennung als Naturschutzverband ist keine kommunale Aufgabe, sondern eine des Bundes. Selbst wenn ich grundsätzliche Vorbehalte gegen das Töten von Tieren habe und die Jagd als Freizeitbeschäftigung ablehne, bin ich gerne bereit, auch der Jägerschaft ihre Rechte bei der Diskussion städtischer Planungen zu gewähren und sie in dem gegebenen formalen Rahmen zu beteiligen. Ich sehe durchaus auch naturschutzfördernde Aspekte der Jagdausübung und es gibt in unserer Stadt Projekte der Jägerschaft, mit denen Grünbereiche ökologisch aufgewertet worden sind. Insofern halte ich Ihre Frage auf kommunaler Ebene für wenig relevant.
Frage 6: Wie schätzen Sie die Notwendigkeit der Jagdausübung auch in Stadtrandnähe ein?
Antwort 6: Die Jagd zur Bestandsregulierung z.B. von Wildschweinen oder auch anderem Wild, das durch zu große Population waldschädigend wirken kann, kann auch in Stadtrandnähe sinnvoll sein. Dies ist im konkreten Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden. Jagdausübung im Sinne einer Schaffung von Überpopulation bestimmter Wildtierarten mit dem Ziel, eine ausreichende Anzahl von zu jagenden Tieren zur Freizeitgestaltung zu haben, lehne ich natürlich überall ab.
Frage 7: Was halten Sie von einer Verordnung zum Schutz von Bäumen und Hecken in der freien Landschaft?
Antwort 7: Bekanntlich gab es viele Jahre eine Baumschutzsatzung auch in Braunschweig, die durch die Ratsmehrheit nach 2001 (übrigens gegen den Wunsch des Oberbürgermeisters) abgeschafft wurde. Die Satzung war in weiten Teilen der Bevölkerung nicht beliebt und ihre Wirkung war umstritten. Tatsächlich sind aufgrund dieser Satzung kaum Baumfällungen untersagt worden, allerdings war dort auch die Pflicht zu Ersatzpflanzungen bei Fällungen geregelt. Mir liegt der Schutz von Bäumen gerade in der Stadt sehr am Herzen, aber ich würde als Oberbürgermeister eher einen positiven Steuerungsmechanismus vorschlagen. Das bedeutet für mich eine intensive Beratung, vielleicht eine Beratungspflicht für BürgerInnen, die Bäume ab einer festgesetzten Größenordnung beseitigen wollen, in Verbindung mit Instrumenten der (materiellen und finanziellen) Förderung des Erhalts von Bäumen und der Neuanpflanzung. Wichtig für den Erfolg von Schutzmaßnahmen ist vor allem die Akzeptanz dieser Maßnahmen, die auch durch intensivere Öffentlichkeitsarbeit erzeugt werden kann. Die Instrumente des behördlichen Naturschutzes (Ausweisung von Naturdenkmalen, Naturschutzgebieten etc.) bleiben unabhängig davon natürlich für besonders wertvolle Pflanzen bestehen.

Frage 8: Halten Sie die personelle Ausstattung des Umweltamtes für ausreichend bzw. was würden Sie daran gerne verändern?
Antwort 8: Die personelle Ausstattung des früheren Umweltamtes (heute: Abteilung Umweltschutz & Umweltplanung im Fachbereich Stadtplanung & Umweltschutz) halte ich nicht für ausreichend. Es müssten dort m. E. erst einmal mindestens ein bis zwei Stellen neu geschaffen werden. Ich halte mindestens einen halbe BiologInnen-Stelle und eine ganze Stelle für eine/n Umweltingenieur/in für zwingend. Das werde ich unabhängig von der Oberbürgermeisterwahl schon für den Haushaltsplan 2015 vorschlagen. Der Bereich Klimaschutz ist erfreulicherweise – dank Grüner Initiative – ja schon im Stellenplan 2014 aufgestockt worden.
Frage 9: Halten Sie es für sinnvoll, ein eigenes Umweltdezernat in Braunschweig einzurichten? Oder lässt sich auf anderem Wege die Rolle der Umweltpolitik stärken, z.B. durch die Zusammenlegung von Grünflächen- und Umweltausschuss?
Antwort 9: Meines Erachtens ist die Frage, welches Gewicht und welche Bedeutung der Umweltschutz im Handeln der Stadt hat, nicht vorrangig eine Frage der Verwaltungsorganisation. Ein Stadtbaurat oder eine Stadtbaurätin, die inhaltlich von der Wichtigkeit des Umweltschutzes persönlich überzeugt ist, hätte in dieser Rolle z. B. mehr Möglichkeiten als ein „Alibi-Umweltdezernent“ oder eine „Alibi-Umweltdezernentin“. Angesichts der relativ geringen Bedeutung von Ausschüssen würde ich auch hier kein Potential sehen, den Umweltschutz in Braunschweig zu verbessern. Viel zentraler ist aus meiner Sicht da die Einstellung des zukünftigen Oberbürgermeisters, der durch seine übergeordnete Position entscheidende Weichenstellungen vornimmt und dem Umweltschutz eine hohe oder auch geringe Priorität gibt. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass mit mir als Oberbürgermeister die Weichen in der Verwaltung anders als bisher gestellt würden. Diskussionswürdig ist aus meiner Sicht allerdings, ob die Bedeutung des Umweltschutzes nicht tatsächlich durch eine Aufwertung der bisherigen Abteilung zum Fachbereich oder ein eigenes Referat sinnvoll verbessert werden kann. Neben der Verwaltungsorganisation scheint mir aber in Braunschweig ein großes Potential in verstärkter Öffentlichkeitsarbeit zu liegen, die natürlich auch personelle Ressourcen und Kooperation mit den Verbänden erfordert.
Frage 10: Würden Sie die naturnahe und differenzierte Pflege der öffentlichen Grünflächen unterstützen?
Antwort 10: Ja und das haben ich im Rahmen meiner politischen Arbeit auch in der Vergangenheit immer getan.
Frage 11: Welchen Handlungsbedarf sehen Sie im Gewässerschutz?
Antwort 11:Auch wenn die Braunschweiger Gewässer dank zahlreicher Maßnahmen aus der Vergangenheit inzwischen in einer viel besseren Verfassung sind als das noch vor zwanzig Jahren der Fall war, würde ich als Oberbürgermeister noch weitere Renaturierungen von Fließgewässern projektieren und Gewässerschutzstreifen einrichten wo immer dies möglich ist. Zugleich ist natürlich der Herbizidverzicht und die ökologische Bewirtschaftung von verbliebenen städtischen Acker- und Weideflächen sinnvoll, um den Eintrag von Giften in die Gewässer zu vermindern. Das Problem der Belastung der Oker mit Schwermetallen werden wir in Braunschweig nicht lösen können, aber ich würde für einen sorgfältigen Umgang z.B. mit den aus der Oker gebaggerten belasteten Schlämmen sorgen.

Frage 12: In Bezug auf die Durchgängigkeit der Gewässer hat die Aller-Oker-Lachsgemeinschaft beträchtliche Erfolge erzielt. Als großes Wanderungshindernis ist das Braunschweiger Petriwehr verblieben, dem eine Fischtreppe bisher fehlt. Wie ist das Problem schnell zu lösen?
Antwort 12: Dank der Plangenehmigung von 2009 scheint lediglich erforderlich, die entsprechenden finanziellen Mittel bereitzustellen, also schlicht andere Prioritäten im städtischen Haushaltsplan zu setzen. Dafür setze ich mich gerne ein.
Frage 13: Wie stehen Sie zur These des „innerstädtischen Verdichtungsraumes“? Wird damit die Förderung der Biologischen Vielfalt auf die Außenbereiche verlagert, oder ist dies auch anders zu sehen?
Antwort 13: In einer Stadt mit begrenzten Flächen gibt es unausweichlich eine Nutzungskonkurrenz. Das bedeutet, dass eben nicht für jeden Bedarf beliebig Flächen ausgewiesen werden können, sondern mit dem vorhandenen Potential sorgfältig und effizient umgegangen werden muss. Dabei ist ein Aspekt die Frage der Förderung der biologischen Vielfalt, aber dies ist nicht der einzige Aspekt. Eine Verdichtung von bisher nicht ausreichend effizient genutzten städtischen Flächen muss nicht der biologischen Vielfalt entgegenstehen. So wäre beispielsweise eine Überbauung von Parkplätzen, Garagenhöfen oder Gewerbebrachen mit einem Wohngebäude mit einem begrünten Dach und begrünten Fassaden, umgeben von naturnahen Freiflächen, eine deutliche Aufwertung. Eine als Alternative dazu ausgewiesene neue Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand mit „totgespritzten“ Gärten und neu betonierten Parkplätzen wäre dagegen ein deutlicher Nachteil auch für die biologische Vielfalt. Zusätzlich würde damit auch noch bisher möglicherweise naturnahe Landschaft zugebaut und zusätzlicher Verkehr erzeugt. Von daher ist für mich eine behutsame Verdichtung innerstädtischer Räume nicht per se eine Verlagerung der Förderung biologischer Vielfalt auf die Außenbereiche. Wichtig ist mir, diesen Aspekt eben bei der Planung mit im Auge zu behalten. (s. dazu auch Antwort auf Frage 3)
Frage 14: Das „Beschleunigte Verfahren“ nach § 13 Baugesetzbuch im Rahmen der Aufstellung von Bebauungsplänen ist umstritten. Was halten Sie im Hinblick auf die Naturschutz- und Umweltbelange von diesem Verfahren?
Antwort 14: Nach § 13 (3) BauGB wird auf wesentliche Bestandteile der Beurteilung von Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt bei der Anwendung des beschleunigten Verfahrens verzichtet. Zu Recht ist diese Regelung umstritten, weil sie tatsächlich ermöglicht, in bestimmten Fällen keine Umweltprüfung und keinen Umweltbericht zu erstellen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist dies nur möglich bei Plänen, die – verkürzt gesagt – entweder schon bei vorausgehenden Planungen auf ihre Umweltrelevanz überprüft worden sind oder eben aufgrund ihres Umfangs keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt erwarten lassen. Um dies zu beurteilen, bedarf es eigentlich einer vorausgehenden Prüfung, die aus denselben Faktoren bestehen müsste wie sie in einem „normalen“ Verfahren anzuwenden sind. Aber auch ein Missbrauch dieser Regelungen kann nicht ausgeschlossen werden. Es handelt sich hier um eine bundesgesetzliche Regelung, die den Gemeinden erlaubt, in diesen Fällen ein „beschleunigtes Verfahren“ durchzuführen. Die bundesgesetzliche Regelung steht auf kommunaler Ebene nicht zur Debatte, aber es steht den Kommunen frei, auch bei einem beschleunigten Verfahren z.B. die Naturschutzverbände im Vorfeld der Planung einzubinden und sorgfältig mit der Prüfung der Umweltauswirkungen umzugehen. Ich würde mich als Oberbürgermeister für eine Verwaltungspraxis einsetzen, die das beschleunigte Verfahren dann anwendet, wenn es darüber einen Konsens der zu beteiligenden Gruppen und Verbände gibt, aber selbstverständlich nicht, um Auflagen bezüglich der Prüfung und Beachtung des Umweltschutzes zu umgehen.

Frage 15: Braunschweig ist seit 2013 Mitglied im Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“, hat sich in diesem Zusammenschluss aber bisher kaum engagiert. Wie sollte sich Braunschweig künftig in dieses Bündnis einbringen?
Antwort 15: Meines Erachtens sollte sich die Braunschweiger Mitgliedschaft nicht darauf beschränken, den jährlichen Mitgliedsbeitrag zu überweisen. Die Stadt sollte auch aktiv in dem genannten Bündnis mitwirken, z. B. eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter benennen, die / der für den interkommunalen Austausch zuständig ist, „best practice“-Projekte auch in Braunschweig einbringt und für die Umsetzung der in der Deklaration enthaltenen Verpflichtungen sorgt.
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