Ratsdebatte zum Herrenabend des Technikervereins

Leonore Köhler

Redebeitrag von Leonore Köhler

Am 27. Juni 2023 fand die letzte Ratssitzung vor der Sommerpause statt. Im Großen Sitzungssaal des Ratshauses wurden wieder sehr viele Themen diskutiert – am leidenschaftlichsten aber war die Debatte über den Herrenabend des Technikervereins. Anlass für die intensive Auseinandersetzung war ein gemeinsamer Antrag von SPD und Grünen. Der Oberbürgermeister wurde darin gebeten, „mit dem Vorstand des Technikervereins Braunschweig von 1887 e. V. Kontakt aufzunehmen und darauf hinzuwirken, dass die Traditionsveranstaltung „Herrenabend des Technikervereins mit Eisbeinessen“ an die gesellschaftlichen Gegebenheiten des Jahres 2023 angepasst wird und insbesondere eine Öffnung des Teilnehmerkreises stattfindet“.

Beschlossen wurde der rot-grüne Antrag mit klarer Mehrheit, bei Gegenstimmen und einer Enthaltung. Gleich zu Beginn der spannenden Kontroverse ging unsere Stellvertretende Fraktionsvorsitzende Leonore Köhler ans Redepult. Wir dokumentieren hier ihre fulminante Ratsrede zum Herrenabend – zum Nachlesen für Interessierte:


Redebeitrag von Leonore Köhler am 27. Juni 2023 zum Thema „Herrenabend des Technikervereins“ (Es gilt das gesprochene Wort):

„Sehr geehrter Vorsitzender, sehr geehrte Kolleg*innen,

man könnte meinen, ein Antrag, der unseren Oberbürgermeister auffordert, lediglich ein Gespräch zum sogenannten „Herrenabend des Technikervereins“ zu führen, könnte harmloser nicht sein. Und dennoch erhitzt dieser harmlose Antrag – in dem es ausdrücklich nicht um Verbote geht – die Gemüter. Herr Köster und der Vereinsvorsitzende Hansmeier überbieten sich schon im Vorfeld der Ratsdebatte mit Populismen. Herr Köster spricht davon, der Antrag wäre ein schlechter Witz.

Ein schlechter Witz ist es in unseren Augen, dass wir im Jahr 2023 immer noch ernsthaft über die Existenz eines reinen „Herrenabends“ debattieren müssen. Dieser wirft nicht nur ein schlechtes Bild auf das Verständnis einer gleichberechtigten und toleranten Gesellschaft einiger Herren, sondern auch ein schlechtes Bild auf unsere Stadt, die für Toleranz und Weltoffenheit stehen sollte und nicht für reaktionäre, überkommene und diskriminierende Strukturen.

Warum ist es so ein großes Problem in Braunschweig, den „Herrenabend“ für Frauen zu öffnen? In anderen Städten ist dies längst geschehen.

Warum erhitzen sich hier so sehr die – hauptsächlich männlichen – Gemüter?

Es werden immer wieder die gleichen Gründe angeführt: Der Verweis auf reine Frauenveranstaltungen, auf Tradition.

Und eins der häufigsten Argumente: Es sei eine private Veranstaltung und man könne daher keinerlei Vorschriften machen, wer einzuladen wäre. Laut Herrn Köster wäre dies „Bevormundung und Gängelung“ durch die Grünen. Zuerst einmal finde ich es spannend, dass Sie Gleichberechtigung zur rein Grünen Ideologie machen. Bisher dachte ich immer, dass Gleichberechtigung von uns allen angestrebt wird und selbst der CDU nicht ganz fremd ist, schließlich haben sie über 16 Jahre die erste weibliche Kanzlerin gestellt. Und auch ihr Landtagskandidat Herr Hackenberg bezeichnete den Herrenabend als „völlig unangebracht“. Aber diese Erkenntnis scheint in der CDU-Ratsfraktion noch nicht angekommen zu sein.

Niemand will Ihnen verbieten, zu ihrer privaten Geburtstagsfeier nur Männer einzuladen. Doch der Herrenabend proklamiert für sich selbst, ein gesellschaftlich relevantes Event zu sein. Ein Netzwerktreffen der Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. Dies geht weit über die Grenzen des Privaten hinaus. Bei einem Netzwerkevent Frauen ohne jeglichen Sachgrund aufgrund ihres Geschlechts auszuschließen, ist schlicht sexistisch, frauenfeindlich, wettbewerbsverzerrend und falsch.

Und falls Sie das immer noch für Grüne Ideologie halten – vielleicht schenken sie der deutschen Justiz ja mehr Gehör. Das Amts- und Landgericht Memmingen hatte in einem ähnlichen Fall zu entscheiden – hier ging es um den Ausschluss von Frauen beim sog. Stadtbachfischen, welches ebenfalls durch einen privaten Verein organisiert wird. Von den Gerichten wurde festgesellt, dass private Vereine auch in bestimmten Umfängen an Art. 3 des Grundgesetzes und das daraus resultierende Diskriminierungsverbot gebunden sind und daher das Stadtbachfischen für Frauen geöffnet werden muss. Zudem stellte das Landgericht in zweiter Instanz fest, dass der Vereinszweck hier maßgeblich zur Entscheidung, ob ein Ausschluss von Frauen gerechtfertigt ist, herangezogen werden muss.

Schauen wir uns doch einmal genau den Vereinszweck des Technikervereins an:

„Der Zweck des Vereins ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der technischen Berufe. […] Dazu gehört insbesondere die Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses.“

Erklären Sie mir bitte, wie mit dem Herrenabend der Vereinszweck erfüllt wird – wie genau man den wissenschaftlichen Nachwuchs mit einem großen Netzwerkevent, welches 50 % des Nachwuchses ausschließt, unterstützt? Ich selbst habe Maschinenbau studiert und sehr gut abgeschlossen – doch ich war in der absoluten Unterzahl. Das muss sich ändern! Denn Nachwuchs haben wir im technischen Bereich angesichts des dramatischen Fachkräftemangels dringend nötig. Aber welches Signal wird an junge, motivierte Frauen, die sich für den technischen Bereich interessieren, mit dieser Veranstaltung gesendet?

Ihr seid hier nicht willkommen, ihr müsst draußen bleiben – egal wie gut ihr seid oder was ihr auch erreicht. Das dient weder dem Vereinszweck noch unserer Gesellschaft. Statt Frauen auszugrenzen, sollten wir sie ermutigen, MINT-Fächer zu ergreifen. Danke, dass dies auch der DGB Braunschweig in seinem Statement zum Herrenabend klargemacht hat.

Und dann das absurde Argument, es gäbe ja auch reine Veranstaltungen und Räume nur für Frauen. Hierzu lege ich Ihnen einfach das klare Statement von Frau Lenz ans Herz. Vielen herzlichen Dank hierfür!

Und schließlich das Hauptargument: Es ist doch Tradition. Meine Herren – Tradition ist kein Wert an sich. Eine Tradition muss ihre Werthaftigkeit erst beweisen. Denn wäre eine männliche Tradition ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund für den Ausschluss von Frauen, dürften Frauen heute wohl weder Hosen tragen noch studieren, hätten wir in Braunschweig weder eine TU- noch eine Eintracht-Präsidentin, dürften Frauen nicht wählen und letztlich dürfte ich heute hier nicht stehen und sprechen. Sogar die „Welt“ – der nun wirklich keine rot-grüne Nähe zu attestieren ist, schrieb: Traditionen müssen von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand, spätestens wenn die Strukturen, aus denen sie entstanden sind, nicht mehr existieren.

Lassen Sie uns heute diesen Antrag beschließen und wenigstens einen kleinen Schritt Richtung Gleichberechtigung tun – Osnabrück, Bremen, Hannover und Memmingen haben bereits gezeigt, dass sie Traditionen überdenken und gesellschaftlich erneuern können.

Sie haben erkannt, dass Veränderung kein Verlust ist, sondern ein Gewinn. Lassen sie uns das auch in Braunschweig tun, damit wir bald sagen können, in Braunschweig hat Frauenfeindlichkeit keine Tradition mehr.“


Weitere Details:

Artikel kommentieren

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden. Entnimm Weiteres bitte der Datenschutzerklärung.