Mauerdenkmal vor dem Rathaus: PR-Aktion der BILD-Zeitung verfälscht historische Erinnerung!

Laut BILD-Zeitung "ein Denkmal für die Freiheit": Original-Mauerstück aus BerlinAnlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls hat die Axel Springer AG beschlossen, alle Bundesländer mit einem Originalstück der Berliner Mauer zu „beglücken“. CDU-Ministerpräsidenten wie der mittlerweile abgewählte Dieter Althaus (Thüringen) nutzen gerne die Gelegenheit, sich an der diesbezüglichen BILD-Kampagne „Ein Denkmal für die Freiheit“ zu beteiligen. Auch Christian Wulff (Niedersachsen) hat das Springer-Geschenk dankbar angenommen, auch wenn er es eigentlich nicht so recht gebrauchen kann. In der Landeshauptstadt Hannover steht nämlich schon seit langem ein Mauerfragment. Also wird das überflüssige Präsent einfach an die zweitgrößte Stadt Niedersachsens weitergereicht. Braunschweig hat ja einen gebürtigen Berliner als Oberbürgermeister, der praktischerweise auch noch CDU-Mitglied ist. Der wird schon etwas anzufangen wissen mit dem historischen Betonklotz. Und richtig: Gert Hoffmann hat auch gleich den passenden Standort für den Mauerrest parat – den „Platz der deutschen Einheit“, wie der Platz vor dem Braunschweiger Rathaus seit einiger Zeit offiziell heißt. (Eigentlich wollte Herr Hoffmann ihn in Erinnerung an den Aufstand in der DDR 1953 in „Platz des 17. Juni“ umbenennen. Das scheiterte jedoch am Widerstand aus den eigenen Reihen. Aber das ist eine andere Geschichte…). Gemeinsam mit BILD-Chefredakteur Kai Diekmann und Ministerpräsident Wulff will Oberbürgermeister Hoffmann am 2. November 2009 das Mauermonument feierlich enthüllen. Dabei muss er allerdings auf die Anwesenheit der GRÜNEN verzichten. Diese sagen Nein zum Mauerdenkmal auf dem Rathausvorplatz, da die platte PR-Aktion der BILD-Zeitung die historische Erinnerung verfälscht.

Am 21. Oktober 2009 veröffentlichte die GRÜNE Ratsfraktion dazu folgende Presseerklärung:

„Bei unserer Fraktionssitzung am Montag (19. Oktober 2009) haben wir die geplante Aufstellung eines Mauerstücks auf dem Rathausvorplatz auf Betreiben der BILD-Zeitung intensiv diskutiert. Dabei haben wir einhellig entschieden, die diesbezügliche Beschlussvorlage im Verwaltungsausschuss am 27. Oktober 2009 abzulehnen.

Anders als von Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann am Dienstag (20. Oktober 2009) öffentlich verkündet (www.presse-service.de/data.cfm/static/744276.html), ist die Mauer vor allem ein Symbol für die jahrzehntelange Teilung Deutschlands und die Unterdrückung der DDR-Bevölkerung. Sie stattdessen in ein „Symbol für die Kraft von Freiheit und Selbstbestimmung“ umzudeuten, wie es BILD-Chefredakteur Kai Diekmann platt und unreflektiert tut, ist historisch äußerst fragwürdig.

Ebenso fragwürdig ist für uns die eigentliche Stoßrichtung der BILD-Kampagne: Geehrt und verklärt werden soll mit der Aktion in erster Linie der Verleger und leidenschaftliche „Kalte Krieger“ Axel Springer (1912-1985). Ihm wird vom hauseigenen Boulevard-Blatt quasi das Copyright für die deutsche Wiedervereinigung zugeschrieben (www.bild.de/BILD/politik/2009/06/16/mauerteile/ein-denkmal-fuer-die-freiheit.html). Kaum die Rede ist dagegen im Hause Springer – zumindest im Rahmen der BILD-Aktion „Ein Denkmal für die Freiheit“ – von den Abertausenden mutigen DDR-Bürgerinnen und Bürgern, die in Leipzig, Berlin und anderswo gegen die SED-Diktatur aufbegehrten. Ein würdiges Gedenken an die friedliche Revolution von 1989 sieht u. E. anders aus.

Für dieses würdige Gedenken gibt es in unserer Region – dem ehemaligen Zonenrandgebiet – bekanntlich viele authentische Erinnerungsorte, z. B. die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Dorthin kann und sollte jeder fahren, der sich an die historischen Ereignisse der Nachkriegszeit erinnern will. Einen vom Springer-Verlag diktierten nicht authentischen Erinnerungsort mit einem Original-Mauerstück brauchen wir dagegen nicht. Wenn wir in unserem Stadtzentrum an die friedliche Revolution vor 20 Jahren erinnern wollen, sollten wir dafür andere, eigenständige Mittel und Wege finden. Wie wäre es beispielsweise mit einer Kooperation zu diesem Thema mit der HBK und Braunschweiger Künstlerinnen/Künstlern?

Abschließend sei darauf verwiesen, dass es andernorts Aktionen zum 20. Jahrestag des Mauerfalls gibt, die durchdachter und sinnvoller sind als die der BILD-Zeitung. Zum Beispiel in Los Angeles, wo Berliner Mauerfragmente von internationalen Künstlern bemalt und in ein Kunstwerk integriert werden, das dann im Rahmen einer Kunstperformance am 8./9. November 2009 teilweise wieder abgerissen werden soll (www.berlinonline.de/berliner-zeitung/kultur/detail_dpa_22714156.php).“