Kita-Streik: Angriff der Stadtverwaltung auf das Streikrecht

Ratsherr Karl-Heinz Kubitza (GR?NE)
Ratsherr Karl-Heinz Kubitza (GRÜNE)

Am 19. Mai 2009 kommentierte der Erste Stadtrat und Personaldezernent Carsten Lehmann (FDP) die Streik-Aktionen in den städtischen Kindertagesstätten in einer Pressemitteilung „mit Unverständnis“. Die Stadtverwaltung prüfe „eigene rechtliche Schritte“ gegen die ihrer Ansicht nach unzulässigen Aktivitäten der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi (die bekanntlich zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die gesundheitlich belasteten und tariflich unterbezahlten Erzieherinnen und Erzieher führen sollen). „Kein Verständnis“ habe die Verwaltung dafür, dass die Gewerkschaft „eine deutliche Anhebung bei Löhnen und Gehältern anstrebe“.

Darüber hinaus beinhaltet die genannte Pressemitteilung auch folgende unverhüllte Drohung: „Mit Sorge beobachte er, dass sich die Warnstreiks und Streiks zu einer ernsten Beeinträchtigung der Kinderbetreuungsversorgung in Braunschweig auswirken könnten, sagte Lehmann. Dies könnte ein Nachteil gegenüber Städten wie Salzgitter und Wolfsburg sein, die sehr stark auf das „Markenzeichen“ Kinder- und Familienfreundlichkeit setzten und die im Gegensatz zu Braunschweig ihre Kinderbetreuung ganz überwiegend über freie Träger abwickelten. Gegebenenfalls müsse man daraus Konsequenzen ziehen. Lehmann erinnerte daran, dass in Braunschweig bereits mehrfach im Gespräch war, die Kinderbetreuung stärker in die Hände freier Träger zu legen. Bei neuen Krippen oder Kindergärten werde das auch schon bevorzugt praktiziert.

Angesichts dieser Drohgebärde hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ratssitzung am 23. Juni 2009 unter der Überschrift „Kita-Streik in Braunschweig: Angriff der Stadtverwaltung auf das Streikrecht“ eine Anfrage eingebracht. Präsentiert wurde diese Anfrage vom GRÜNEN Ratsherrn Karl-Heinz Kubitza (u. a. Mitglied im Finanz- und Personalausschuss):

„Die Fragen der GRÜNEN lauteten im Einzelnen:

Frage 1: „Aus welchem Grund hat die Verwaltung auf die berechtigten Streik-Aktionen in den städtischen Kindertagesstätten mit der Drohung ihrer Überführung in freie Trägerschaft reagiert?“

Frage 2: „Wie beurteilt die Verwaltung die Einschätzung, dass es sich bei dieser Drohung um einen unangemessenen Angriff auf das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht (Art. 9, Abs. 3 GG) handelt?“

Frage 3: „Ist die Verwaltung bereit, sich bei den für bessere Arbeitsbedingungen kämpfenden städtischen Erzieherinnen und Erziehern für diese Drohung zu entschuldigen?“

Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann (CDU) – und nicht der verantwortliche Erste Stadtrat und Personaldezernent Carsten Lehmann! – beantwortete die genannten Fragen wie folgt:

Vorbemerkung: „Die Stadtverwaltung ist weiterhin der Auffassung, dass Streiks und überzogene Gehaltsforderungen nicht in die aktuelle Finanzkrise und Haushaltsnotlage der öffentlichen Hände passen. Mittelfristig sollten nennenswerte Lohn- und Gehaltsverbesserungen wünschenswert und machbar sein – in einer Gesamtsituation, in der die öffentlichen Hände insgesamt vor einer dramatischen Schuldensituation stehen und in der gewerblichen Wirtschaft Millionen von Arbeitsplätzen gefährdet sind, ist die aktuelle Verdi-Politik nicht dieser Situation angemessen.

Freilich sind diese jetzt so drastisch vorgetragenen Klagen und Forderungen für die Stadtverwaltung – übrigens nicht nur in Braunschweig – recht überraschend gekommen. Die beklagten Zustände lassen sich daher auch nur mittelfristig beheben. Oft sind auch bauliche Maßnahmen ergänzend notwendig.

Eine grundsätzliche Umstrukturierung der Tarifsituation und der Qualifikation des Personals in den Kindertagesstätten läßt sich nur gesamtstaatlich und gesamtpolitisch lösen. Gibt es hier einen bildungspolitischen Trendwechsel, kann dieser nicht von den Kommunen – dem schwächsten Glied in der Kette der öffentlichen Körperschaften – vollzogen werden. Wenn Mitglieder der Bundesregierung hier Forderungen von Streikenden unterstützen, müssen sie im gleichen Zuge für die Finanzierung sorgen. In diesem Zusammenhang ist die Idee, die Forderungen der Streikenden könnten aus Konjunkturpakt-Mitteln beglichen werden, abwegig.“

Antwort auf Frage 1: „Nach Auffassung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist der Streik rechtswidrig. In den bisher bekannten Gerichtsentscheidungen zu dieser aktuellen Frage – Arbeitsgerichte Kiel und Hamburg – ist die Auffassung der VKA bestätigt worden.

Die Überlegung, die Kinderbetreuung in Braunschweig stärker in die Hände freier Träger zu legen, ist nicht neu und nicht jetzt erst im Zusammenhang mit den Streikaktionen entstanden. Sie stellt auch keine Drohung gegenüber den Streikenden dar. Im Gegensatz zu anderen Städten hat die Stadt Braunschweig übrigens bisher auf Abmahnungen verzichtet.

Die Überlegungen, die der Erste Stadtrat Lehmann angestellt hat, ziehen Konsequenzen aus der Tatsache, dass andere Städte – wie Salzgitter und Wolfsburg -, die in bezug auf die Kinderbetreuung viel stärker auf freie Träger gesetzt haben, in der aktuellen Streiksituation gegenüber Braunschweig vorteilhaft dastehen. Bekanntlich ist in den Krippen- und Kindergärten der freien Träger die Betreuung sichergestellt, da der Streik nur die städtischen Kindergärten betrifft.

Schon in der Vergangenheit gab es berechtigte Überlegungen und Vorschläge, auch in Braunschweig stärker auf die freien Träger zu setzen. Dies ist generell auch meine Politik und Auffassung, wonach nämlich städtisches Handeln subsidiär sein sollte gegenüber den Möglichkeiten, die freie und private Träger haben. Durch die bisher sehr starre und ablehnende Haltung der Personalvertretung und Verdi ist man in dieser Frage auch in den letzten Jahren nie wirklich vorangekommen. Lediglich bei neuen Kindergärten und -krippen kann diese Politik – bisher auch von der Fragestellerin nicht kritisiert – stärker zum Tragen kommen.

In bezug auf die zukünftige Überlegung zu diesem Komplex kann die Streiksituation und die Bewertung ihrer Auswirkungen auf Kinder und Eltern ein neuer zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein.

Solche Überlegungen stellen schon deshalb keine Drohung – im Sinne einer Ankündigung einer Verschlechterung oder eines Übels – dar, weil es für die Beschäftigten in städtischen Kindergärten in keinster Weise von Nachteil wäre, wenn städtische Kindergärten in die freie Trägerschaft überführt würden. Die bisherigen Anstellungs- und Entgeltbedingungen würden selbstverständlich garantiert und fortgeführt.

Schon von daher besteht kein Anlaß, sich für solche Überlegungen – die wie gesagt auch nicht neu sind – zu entschuldigen. Vielmehr besteht Anlaß, unter Lösung des Denkens in Besitzständen und starren Strukturen über dieses Thema in der nächsten Zeit noch einmal grundsätzlich nachzudenken und mit allen Beteiligten (freien Trägern, Gewerkschaft, Personalrat) zu erörtern.“

Antwort auf Fragen 2 und 3: „Damit erledigt und beantwortet.“