Ohne Zweifel war dies das wichtigste Thema der letzten Ratssitzung: Die Haushaltssatzung 2022 der Stadt Braunschweig (TOP 13). Beschlossen wurde sie diesmal von der SPD, den GRÜNEN und der BIBS. Es gab also eine klare Mehrheit für den Verwaltungsentwurf! Dieser war im Vorfeld in den Fachausschüssen durch zahlreiche Fraktionsanträge – vor allem von SPD und GRÜNEN – punktuell verändert worden. Im Rat ging es dann am Ende der Beratungen eher um die großen Linien als um einzelne Details. Für unsere Ratsfraktion sprachen zu diesem TOP unsere beiden Fraktionsvorsitzenden – Helge Böttcher zum Auftakt, Lisa-Marie Jalyschko zum Abschluss.
Beide Reden möchten wir hier veröffentlichen – zum Nachlesen für Interessierte:

Haushaltsrede 2022 von Helge Böttcher
„Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,
Da es bislang noch nicht geschehen ist, möchte Ich an dieser Stelle erst einmal der Verwaltung danken. Und zwar insbesondere Herrn Geiger und der gesamten Finanzverwaltung. Auch wenn das Ihr Job ist, haben Sie doch in den letzten Wochen und Monaten an diesem umfassenden Haushaltsentwurf gearbeitet, der uns heute hier vorliegt. Dafür möchte Ich Ihnen meinen Dank aussprechen.
Meine Damen und Herren,
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.
Daher lautet die Eingangsfrage heute: Wo stehen wir als Stadt? Insbesondere aus finanzpolitischer Sicht? Wo stehen wir?
Dazu müssen wir uns die vergangenen Jahre anschauen. Auch wenn es immer wieder große Schwankungen gab, haben wir unterm Strich im Ergebnishaushalt ein Plus gemacht. Von 2014 bis 2020 ein Plus von 13,9 Mio. €.
Wir haben für das Jahr 2022 einen Haushaltsentwurf vorliegen, der im Ergebnis ein Minus in Höhe von 70,4 Mio. € enthält, dazu Kreditaufnahmen in Höhe von 374 Mio. € und einen Anstieg der Haushaltsreste um weitere 8 Mio. €.
Mittlerweile, wie wir vorhin bereits von Herrn Geiger erfahren haben, haben sich die Planzahlen bereits wieder verbessert. Über die Schwierigkeit und fehlende Genauigkeit der Haushaltsplanung haben wir schon oft diskutiert und sind uns dessen bewusst.
So viel zur Betrachtung der Wirklichkeit in aller Kürze.
Viel wichtiger als die Frage wo stehen wir, ist aber die Frage: Wo wollen wir hin? Und dabei wird es viel grundsätzlicher und umfangreicher: Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wie soll diese Stadt in 1, in 5, in 10 oder in 50 Jahren aussehen?
Dazu möchte ich zunächst einmal auf die Stellungnahme der Kommunalaufsicht zum Haushaltsvollzug 2021 verweisen.
Der Haushalt 2021 wurde nicht nur genehmigt, sondern es heißt auch ganz deutlich: „die dauernde Leistungsfähigkeit der Stadt Braunschweig kann noch angenommen werden“. Sie ist zwar auch gefährdet, durch nicht planbare Krisen und Ereignisse, aber grundsätzlich „kann die dauernde Leistungsfähigkeit der Stadt angenommen werden“.
Weiter wird empfohlen, dass der begonnene Konsolidierungsprozess konsequent fortzuführen ist. Den Prozess der Haushaltsoptimierung und Konsolidierung haben wir vor einigen Jahren gemeinsam gestartet. Wir haben verschiedene Projekte und Prozesse optimiert und zum Teil auch Einsparvorschläge gemacht und umgesetzt. Wir mussten aber alle schnell einsehen, dass der Gesamtrahmen, in dem wir uns bewegen, sehr begrenzt ist.
Riesige Einsparpotenziale, wie häufig von der CDU vorgetragen, gab und gibt es nicht. Trotzdem haben wir diesen Prozess weitergeführt und werden uns auch weiterhin damit beschäftigen.
Weiter heißt es von der Kommunalaufsicht zur Ausweitung des Stellenplans:
„Die Besetzung dieser führt nicht nur im aktuellen Haushaltsjahr, sondern auch in den Folgejahren zu einem Anstieg bei den Personalaufwendungen und hat damit einen negativen Einfluss auf das Jahresergebnis.“
Das ist zunächst einmal eine Feststellung. Mehr Personal kostet mehr Geld.
Wir haben vor einigen Jahren mal untersucht, wie die Stellensituation in der Bauverwaltung ist. Dazu wurde eine Organisationsuntersuchung in Auftrag gegeben. Und was war das Ergebnis? Damit die Bauverwaltung ihren Aufgaben vollumfänglich nachkommen kann, müssen erstmal zahlreiche zusätzliche Stellen geschaffen werden. Während also die Anzahl der Aufgaben in den letzten Jahren zunahm, wurden aber keine adäquaten Stellen geschaffen. Das kann unterm Strich auch nur zu einer Überlastung und einem Haushaltsresteaufbau führen.
Wir sollten uns daher nicht nur die reinen Stellen anschauen, sondern auch die damit verbundenen Aufgaben.
Und damit sind wir wieder bei der Frage „Wo wollen wir hin?“ Für uns GRÜNE ist das ganz klar. Wir wollen die städtische Infrastruktur nicht nur erhalten, sondern auch verbessern. Wir wollen eine Verkehrswende, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und natürlich PocketParks, Herr Möller.
Für all das werden finanzielle und personelle Ressourcen benötigt. Am Ende wird der Mehrwert für die Stadt und die Gesellschaft aber um ein deutliches Höher sein.
Nun fordert die CDU eine „Umkehr in Haushaltspolitik“. Aber wohin umkehren? Lieber Herr Merfort, sie wollen zurück in die 2000er Jahre. In die guten alten schwarzen Zeiten, wo die Welt angeblich noch in Ordnung war, wo man Stadtwerke noch verkaufen konnte, um die Stadtkasse aufzufüllen, wo man Parks in der Innenstadt versiegeln konnte und auf dem Platz der Deutschen Einheit vor dem Rathaus noch sein Auto parken konnte.
Diese Zeiten wünschen Sie sich doch wieder, aber solche Zeiten sind vorbei!
Dieses Jahr ist nicht normal und daher ist dieses Haushaltsjahr auch nicht normal. Das war im letzten Jahr bereits so, und im vorletzten auch. Normale Jahre (Was auch immer dabei „normal“ heißen soll) sind selten geworden, nicht nur aus finanzpolitischer Sicht. Ob weltweite Finanzkrise, VW-Dieselkrise, Kriegsvertriebene aus Syrien, der Ukraine oder Corona-Pandemie. Der Krisenzustand ist das neue Normal und daran müssen wir uns gewöhnen.
Und das heißt auch, dass wir die Stadt Braunschweig, ihre Einrichtungen und Institutionen, ihre Infrastruktur und vieles mehr, nachhaltig, krisensicher und zukunftssicher aufstellen müssen (um Herrn Möller zu zitieren). Dafür müssen wir langfristig planen. Und genau das machen wir.
Vielen Dank.“

Haushaltsrede 2022 von Lisa-Marie Jalyschko
„Sehr geehrtes Ratspräsidium,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
„Erste Male“ sind doch immer etwas Aufregendes. Obwohl ich schon etwas länger Ratsmitglied bin, ist das hier gerade meine erste richtige Haushaltsrede und was macht man, um sich auf eine solche Aufgabe vorzubereiten? Man recherchiert, was denn die eigenen Vorgänger*innen in den letzten Jahren so in ihren Reden zum Haushaltsplan gesagt haben und lässt sich ein wenig inspirieren.
2021 haben wir, und da war die Grüne Ratsfraktion nicht die einzige, als “wieder kein normales Haushaltsjahr” bezeichnet, denn es stand in jederlei Hinsicht im Zeichen der Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Die Jahre davor haben uns die VW-Krise, die Humanitätskrise im Zusammenhang mit den Fluchtbewegungen von 2015, die Klimakrise, und auch die Corona-Krise haushalterisch in Atem gehalten.
2022 hat bisher und wird wohl auch niemand von als normales Haushaltsjahr bezeichnen:
Die Corona-Pandemie hat uns nach wie vor fest im Griff und seit Ende Februar führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Millionen schutzbedürftiger Menschen zur Flucht gezwungen hat. Als Stadt Braunschweig müssen und wollen wir unserer Verantwortung gerecht werden und Geflüchtete bei uns aufnehmen. Damit verbunden sind die bekannten Herausforderungen: Unterbringung, Versorgung, Unterstützung beim Spracherwerb, Beschulung der Kinder.
Eine Krise jagt die andere. Manche, wie die Klimakrise, werden wir so schnell auch nicht bewältigen. Ergibt es also überhaupt Sinn, von “normalen” und “außergewöhnlichen” Haushaltsjahren zu sprechen?
Ich denke nein. Es gibt keine “Zeit des Handelns” und erst recht gibt es keine “Zeit des Verwaltens”. Es gibt nur immer neue Herausforderungen, an denen wir als Stadtgesellschaft und als Politik stetig wachsen müssen, wenn wir eine lebenswerte Zukunft für alle Braunschweigerinnen und Braunschweiger sichern wollen.
Das, was wir mit Blick in die Vergangenheit als “Normalbetrieb” wahrnehmen, war allzu oft bloß die unhinterfragte Durchsetzung eines bestimmten Idealbildes. Sei es die Ideologie der autogerechten Stadt, der neoliberale Ausverkauf öffentlichen Eigentums oder die „Verschlankung“ des Verwaltungsapparats. Wir haben heute immer wieder gehört: Warum um alles in der Welt will rot-grün das Geld mit vollen Händen ausgeben, können die nicht sparen?
Nein. Können wir nicht. Denn wir zahlen jetzt den Preis für die Entscheidungen, die CDU und FDP unter Oberbürgermeister Hoffmann getroffen haben. Und vielleicht müsste rot-grün den Stellenplan nicht „aufblähen“, wenn nicht vorher die Luft abgelassen worden wäre!
Jeder verantwortungsbewusste Fahrradfahrer weiß: Wer mit leeren Rädern fährt, macht die Felge kaputt. Und dann bleibt man irgendwann komplett auf der Strecke.
Damit Braunschweig nicht auf der Strecke bleibt, müssen wir jetzt vor allem eins:
Investieren.
Für Investitionen, ob in moderne Schulen oder in gesunde Grünanlagen, braucht es selbstverständlich Geld. Es braucht aber auch qualifiziertes Personal, welches dieses Geld tatsächlich umsetzt. Mittlerweile ist klargeworden, dass die akut notwendigere und deutlich schwieriger zu beschaffende Ressource von beiden das Personal ist.
Ja, natürlich, jede Stelle kostet Geld, das ist klar. Doch dieses Geld erzielt eine massive Hebelwirkung. Jahr für Jahr ärgern wir uns über Haushaltsreste. Insbesondere im Baubereich kämpfen wir mit Millionenbeträgen, die zwar politisch beschlossen und nach wie vor gewollt sind, für deren Umsetzung unserer Verwaltung schlicht die Kapazitäten fehlen.
Die gute Nachricht ist, dass sich in diesem Bereich mittlerweile eine Menge tut. Obwohl noch lange nicht alle Stellenmehrbedarfe, die das Organisationsgutachten seinerzeit festgestellt hat, gedeckt sind, setzt die Bauverwaltung bereits ein deutlich höheres Volumen um, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Rot-grün wirkt.
Doch das Finden und Halten qualifizierter Mitarbeiter*innen kostet bzw. erfordert noch viel mehr als Geld: Es erfordert Veränderungsbereitschaft, Flexibilität, attraktive Arbeitsplatzgestaltung. Ein Selbstverständnis als moderner, verlässlicher Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer*innen nicht im Stich lässt, in dem er ohnehin überlastete Strukturen mit Nullstellenplänen und Rasenmäher-Sparmaßnahmen noch weiter kaputtspart, bis auch die letzte engagierte Mitarbeiterin sich wegbewirbt oder gleich mit Burnout ausscheidet.
Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die wahre Herausforderung, vor der die Verwaltung der Stadt Braunschweig derzeit steht. In diesem Zusammenhang ist es außerordentlich passend, dass wir heute auch endlich einen neuen Personal- Ordnungs- und Digitalisierungsdezernenten gewählt haben, der sich dieser Herausforderung annehmen wird. Doch nicht nur in der Führungsriege der Verwaltung ist jetzt ambitioniertes Handeln gefragt, sondern auch (oder viel eher, gerade) aus der Politik.
Und genau das tun wir. So beantragen wir z. B. den Ausbau der Schulkindbetreuung an Grundschulen um jährlich mindestens 200 zusätzliche Betreuungsplätze, so dass wir den Gesamtversorgungsgrad von 60 auf 80 Prozent steigern können.
Zusammen mit der Ausweitung der Mindestbetreuungszeit in der Schulkindbetreuung von 2 auf 2,5 Stunden stellt das eine echte Unterstützung für Familien und insbesondere Mütter dar, die in den vergangenen Jahren mit der Doppelbelastung von Beruf und Kinderbetreuung viel zu sehr allein gelassen wurden. Darüber hinaus geht es auch darum, bessere Arbeitsbedingungen für die betreuenden pädagogischen Fachkräfte zu schaffen und damit die Qualität der Betreuung insgesamt zu verbessern.
Kinder und Jugendliche sind jedoch nicht die einzigen, die unsere Unterstützung brauchen.
Manchmal muss Politik die Unterstützer*innen unterstützen. In der Altenhilfe- und Pflegeplanung machen wir das, indem wir eine Koordinierungsstelle schaffen, die die Arbeitin diesem Bereich bündelt, Leerstellen frühzeitig erkennt und sowohl intern als auch externals Ansprechpartnerin fungiert. Damit ermöglichen wir der Fachverwaltung ein effektiveresArbeiten und eine bessere Einbindung der zivilgesellschaftlichen Akteure.
Ein effektiveres Arbeiten wünscht sich meine Fraktion auch insbesondere bei der Verkehrswende und der Förderung des Radverkehrs. Aus diesem Grund haben wir die Entnahme von 4 Stellen aus der Stellenreserve für Radverkehrsplanung beantragt, damit wir nicht erst die Freigabe des diesjährigen Haushaltsplans abwarten müssen. 2 Jahre Pandemie, andere Städte haben die Zeit für dynamische, teilweise experimentelle Konzepte genutzt und waren damit größtenteils erfolgreich. Braunschweig hat… nicht nichts. Immerhin einen ca. 50 Meter langen geschützten Radfahrstreifen an der Leonhardstraße. Den ersten seiner Art in Braunschweig. Aber leider nicht spürbar viel mehr. Das zeigt: Wir gehen in die richtige Richtung, aber viel zu langsam und zu zögerlich. Das liegt natürlich nicht nur an fehlendem Mut, sondern auch am chronischem Personalmangel.
Da wir uns Verkehrsplaner*innen aber leider nicht backen können, beantragen wir die Kapitalisierung nicht besetzter Personalstellen, also die Möglichkeit, Personalbudgets alternativ für die Beauftragung externer Fachbüros oder ähnlichem zu nutzen. Das ist nicht der Königsweg und ich weiß, dass auch die Personalvertretung ihre Zweifel hat. Aber ich bin ganz froh und dankbar, dass wir da einen guten gemeinsamen Kompromiss gefunden haben, der die Bedürfnisse und Sorgen der Arbeitnehmer*innen berücksichtigt.
Mit einer Erhöhung des städtischen Photovoltaik-Förderprogramms sowie einer Verdopplung der städtischen Mittel für Neuinstallation leisten wir einen wichtigen Beitrag in der Bekämpfung der Klima-und Energiekrise, schützen unsere natürlichen Lebensgrundlagen und ermöglichen Bürgerinnen und Bürgern, sich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen.
An dieser Stelle möchte ich auch nochmal unsere frisch gegründete Energiegenossenschaft hervorheben, die, und davon sind wir überzeugt, ein echtes, zukunftstaugliches Modell für die Umsetzung der Energiewende auf lokaler Ebene darstellt.
Und das ist dringend notwendig. Denn vor Rohstoffknappheit, Dürresommern, steigenden Energiepreisen oder den Aggressionen faschistischer Diktatoren schützt uns nicht ein prall gefüllter Geldspeicher in der Stadtkämmerei. Uns schützt eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur, klimafeste Stadtgestaltung, sozialer Zusammenhalt und eine öffentliche Hand, die vor ihrer Verantwortung für die Menschen nicht zurückschreckt, nur weil es Geld kostet.
Herzlichen Dank.”
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