
Als Oppositionspartei haben es die GRÜNEN im Braunschweiger Rat im allgemeinen nicht gerade leicht: Während Anträge von CDU und FDP zumeist glatt mit schwarz-gelber Einstimmen-Mehrheit durchgehen, werden Anträge der anderen Fraktionen (SPD, GRÜNE, LINKE, BIBS) größtenteils abgelehnt und oftmals noch nicht einmal zur weiteren Diskussion in die Fachausschüsse überwiesen. Nur selten werden oppositionelle Anträge im Rat einhellig verabschiedet. Bei der Sitzung am 23. Juni 2009 konnten die GRÜNEN einen dieser raren Erfolge für sich verbuchen. Auf ihren Vorschlag hin beschloss der Rat einstimmig eine Resolution, die sich mit Blick auf die städtische Beschaffungspraxis für eine Ächtung ausbeuterischer Kinderarbeit ausspricht. Erläutert wurde dieser Antrag durch den GRÜNEN Fraktionsvorsitzenden Holger Herlitschke. Und so lautet der Antragstext (Entwurf von Sven Wöhler):
„Der Rat der Stadt Braunschweig lehnt eine städtische Beschaffungspraxis von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit – gemäß der Konvention Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) – ab.
Er bittet die Verwaltung Vorschläge zu unterbreiten, wie die städtische Beschaffungspraxis dahingehend dauerhaft ausgerichtet werden kann.
Begründung:
Nach Schätzungen des internationalen Kinderhilfswerkes „terre des hommes“ gehen weltweit regelmäßig 20-30 % aller Kinder einer Arbeit nach. Dies sind bis zu 250 Mio. Kinder.
Kinderarbeit bringt erhebliche gesundheitliche Risiken für die Kinder und lässt oftmals keinen Schulbesuch zu. Aber Kinderarbeit sichert häufig das notwendige Familieneinkommen, so dass die sich mittlerweile organisierenden arbeitenden Kinder fordern „Arbeitende Kinder achten – Kinderarbeit ächten!“. Sie fordern ein Recht auf Unterricht und Ausbildung, Gesundheitsschutz und Maßnahmen gegen die wirtschaftlichen Ursachen des Problems.
Die von Deutschland ratifizierte und in Kraft getretene ILO-Konvention 182 – Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Folgen der Kinderarbeit – erfüllt diese Forderung. So soll(en) beispielsweise
– alle Formen der Sklaverei und Sklaverei-ähnlicher Praktiken (Kinderhandel, Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit, Zwangsrekrutierung)
– die Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist
abgeschafft werden.
Dabei soll gemäß der Empfehlung der ILO insbesondere berücksichtigt werden:
Arbeit, die die Kinder einem körperlichen, psychologischen oder sexuellen Missbrauch aussetzt;
Arbeit unter Tage, unter Wasser, in gefährlichen Höhen oder beengten Räumen;
Arbeit mit gefährlichen Geräten oder mit schweren Lasten;
Arbeit in einer ungesunden Umgebung;
lange Arbeitszeiten oder Nachtarbeit.
Bei folgenden Produkten aus Asien, Afrika oder Lateinamerika ist bekannt, dass hierbei ausbeuterische Kinderarbeit vorkommt:
- Natursteine, Pflastersteine (z. B. aus China)
- Lederprodukte
- Billigprodukte aus Holz
- Teppiche, Wohn- und Kleidungstextilien
- Spielwaren, Sportartikel, Sportbekleidung, Bälle
- Agrarprodukte wie Kakao, Orangensaft oder Tomaten.
Fehlendes Wissen, starker ökonomischer Druck und mangelnde Kontrollen verhindern eine wirksame Umsetzung der Konvention, obwohl sie mittlerweile von mehr als 100 Staaten ratifiziert wurde. Daher kann von Anbietern nicht immer der Nachweis verlangt werden, dass das Produkt nicht mit ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurde, sondern manchmal muss der Nachweis reichen, dass das Unternehmen sich aktiv gegen ausbeuterische Kinderarbeit einsetzt. Verbraucherinnen und Verbraucher können dennoch ihre Marktmacht aktiv gegen Kinderarbeit einsetzen – auch die Stadt Braunschweig.
Ein derartiges Vorgehen ist vergaberechtlich über das Ratifizierungsgesetz der ILO-Konvention 182 nicht ausdrücklich durch entsprechende Gesetzesregelungen in der Bundesrepublik Deutschland gedeckt. Aber die Europäische Union hat zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht beabsichtigt, Produzenten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die sich ausbeuterischer Kinderarbeit bedienen, zu schützen.
In einer Mitteilung „über die Auslegung des gemeinschaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge“ führt sie unter dem Titel III „Vorschriften aus dem sozialen Bereich, die für öffentliche Aufträge gelten“ aus, dass die Ausführung eines Auftrags nach Zuschlagserteilung unter „vollständiger Einhaltung aller geltenden nationalen, internationalen oder gemeinschaftlichen Normen, Regeln, Vorschriften und Pflichten erfolgen muss, die im sozialen Bereich zwingend vorgeschrieben sind.“ Weiter heißt es: „Die von der ILO identifizierten, grundlegenden internationalen Arbeitsnormen und die Rechte bei der Arbeit gelten selbstverständlich in der Gesamtheit der Mitgliedsstaaten.“ Unter den sieben Kernübereinkommen, die die ILO als Basis für die Kern-Arbeitsnormen benennt, befinden sich auch das Übereinkommen 29 (gegen Zwangsarbeit), das Übereinkommen 138 (zur Festsetzung eines Mindestalters) und das Übereinkommen 182 (zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit).
Es steht deshalb nicht zu befürchten, dass die Stadt Braunschweig gezwungen wird, einem Anbieter von Produkten, die mit ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden, den Zuschlag zu erteilen, weil es sich um das wirtschaftlichste Angebot handelt.
In Deutschland haben mittlerweile insgesamt 144 Städte entsprechende Beschlüsse gegen ausbeuterische Kinderarbeit gefasst. Eine entsprechende Liste findet sich auf der Internetseite http://www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/deutschland/landkarte.“