
Antworten von Holger Herlitschke auf die Fragen der „Umweltzeitung“ an die Braunschweiger Oberbürgermeister-Kandidaten:
1) Der noch amtierende Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann hat versucht, durch Privatisierungen öffentlichen Eigentums den Haushalt der Stadt Braunschweig zu sanieren. Wie beurteilen Sie den Erfolg dieser Politik und wie steht Braunschweig Ihrer Ansicht nach heute finanziell da?
Bei diesem Thema haben wir stets eine andere Position als der bisherige Amtsinhaber vertreten. Die sog. „Haushaltskonsolidierung“ von Herrn Dr. Hoffmann steht leider auf tönernen Füßen. Wie in der Frage angedeutet, bestand sie tatsächlich im Wesentlichen darin, die öffentliche Daseinsvorsorge – ganz oder teilweise – zu privatisieren. Dies betraf und betrifft die wichtigsten kommunalen Aufgabenbereiche und Betriebe (Energie- und Wasserversorgung, Müll- und Abwasserentsorgung etc. pp.). Zwar ist dadurch der Schuldenstand der Stadt Braunschweig deutlich gesunken, leider ist wegen des Verkaufs der Braunschweiger Versorgungs-AG (BVAG) aber auch eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen – zumindest größtenteils – versiegt. Außerdem sind die Privatisierungserlöse mittlerweile aufgebraucht. Der CDU-Oberbürgermeister hinterlässt seinem Nachfolger also kein leichtes Erbe und einen strukturell defizitären Haushalt.
2) Wie stehen Sie zu Vorschlägen, privatisierte oder teilprivatisierte kommunale Einrichtungen (z.B. BS Energy oder die SE BS) wieder zu kommunalisieren? Wo würden Sie ggf. damit anfangen?
Dem Ziel der Rekommunalisierung (teil-)privatisierter städtischer Unternehmen stehe ich generell sehr aufgeschlossen gegenüber. Meine Partei hat sich bei der letzten Kommunalwahl 2011 dafür ausgesprochen, die erfolgten Privatisierungen wenn möglich rückgängig zu machen. Durch die von der ehemaligen CDU-/FDP-Mehrheit (mit Unterstützung der SPD) im Rat gefassten Beschlüsse ist ein kurzfristiges Gegensteuern allerdings extrem schwierig wenn nicht gar unmöglich. Nichtsdestotrotz streben wir bei den privatisierten Aufgaben langfristig wieder ein stärkeres Engagement der Stadt an. Dies wäre zum Beispiel durch den – allerdings sehr teuren! – Rückkauf der Mehrheitsanteile an der früheren Versorgungs-AG (heute bekannt als „BS|Energy“) oder durch den Aufbau von neuen Stadtwerken in städtischer Regie (Eigenbetrieb/e) möglich. Andere Städte und Gemeinden sind auf diesem Gebiet bereits erfolgreich aktiv geworden. Wenn man das Thema Rekommunalisierung ernsthaft angehen will, benötigt man aber zunächst einmal belastbare Zahlen. Handlungsmöglichkeiten in diese Richtung ergeben sich für Braunschweig vor allem in den letzten Jahren vor Auslaufen der entsprechenden Konzessions- und Dienstleistungsverträge. Um diesen Prozess anzustoßen, sollte man so bald wie möglich ein Gutachten in Auftrag geben, das insbesondere die finanziellen Rahmenbedingungen klären muss.
3) Derzeit wird ein neues Stadtbahnkonzept ausgearbeitet. Wie stehen Sie zu den diskutierten Ausbaumaßnahmen für die Stadtbahn, soll auch versucht werden, die RegioStadtbahn nochmals neu zu initiieren?
Der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), insbesondere des Stadtbahnangebots ist für mich ein zentrales Thema. Schienengebundener ÖPNV ist bekanntlich deutlich attraktiver als nicht schienengebundener. Mit der neuen Ratsmehrheit geht es in diesem Bereich jetzt schon richtig voran. Die erste Phase der Ideengewinnung für das Stadtbahnausbaukonzept ist bereits abgeschlossen. Nun müssen die einzelnen Vorschläge intensiv geprüft und dann die sinnvollen Maßnahmen realisiert werden. Welche der insgesamt neun „Korridore“ nach der vertieften Untersuchung zur Umsetzung vorgeschlagen werden, ist zurzeit noch nicht absehbar. Es sollten natürlich die Strecken sein, die das größte Fahrgastpotential haben und die wichtigsten Verbindungen abdecken. Klar ist schon jetzt, dass für die Braunschweiger Verkehrs-AG (BSVAG) aus betrieblichen Gründen der Westlichen Innenstadtumfahrung die größte Bedeutung zukommt. Für mich selber haben die Strecken Priorität, die den größten Effekt für die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen haben. Dieser Effekt tritt nur ein, wenn durch die neue Stadtbahn die Belastungen aus dem Autoverkehr nennenswert vermindert werden, es also leiser, sauberer und sicherer für alle wird.
Die „RegioStadtbahn“ ist bekanntlich nicht am mangelnden Engagement der Stadt, sondern am fehlenden Einsatz des (erst FDP-, dann CDU-geführten) Zweckverbandes und der Landesregierung (aus CDU und FDP) gescheitert. Wir sollten das Konzept nicht völlig aus den Augen verlieren, befinden uns gegenwärtig aber in einer Zwischenphase, wo zunächst einmal die Sparvariante „Regiobahn“ realisiert werden soll. Mir erscheint es nur dann sinnvoll, das Projekt „RegioStadtbahn“ erneut auf die Tagesordnung zu setzen, wenn tatsächlich Einigkeit mit allen Gebietskörperschaften des Zweckverbandes, mit dem Land und allen regionalen Landtagsabgeordneten sowie mit der Bahn und der Landesnahverkehrsgesellschaft über das Projekt besteht. Ansonsten würde ein ähnliches Desaster erzeugt wie beim ersten Versuch. Wir streiten uns doch zurzeit schon mit dem Land um Mittel für einen normalen Mindestbetrieb ohne den großen Ausbau.
4) Derzeit versuchen verschiedene Initiativen aus Bürgern und Firmen in der Stadt, den Klimaschutz und die Energiewende (z. B. Energiewende 38) voranzutreiben. Sind Sie als OB bereit, durch z. B. Zurverfügungstellung kommunaler Gebäudedächer oder städtischer Brachflächen Standorte für erneuerbare Energien zu unterstützten? Halten Sie es für möglich, auch Dach- und Fassadenbegrünungen, die auf das lokale Klima großen Einfluss haben, zu fördern?
Zur ersten Frage: Ja, natürlich. Meine Partei und ich persönlich sind da schon seit längerem am Ball. So haben wir z. B. zum Haushaltsplan 2012 ein städtisches Förderprogramm für regenerative Energien beantragt und auch durchgesetzt. Bis 2015 sollen so insgesamt 370.000 € für die Förderung des Baus oder der Installation entsprechender Anlagen (hauptsächlich Solarthermie und Photovoltaik) fließen.
Zur zweiten Frage: Ja, natürlich. Wir Grünen haben die Förderung von Dach- und Fassadenbegrünungen schon vor ca. 25 Jahren gemeinsam mit der SPD eingeführt und ich will – die Zustimmung des Rates vorausgesetzt – als Verwaltungschef gerne dieses Förderprogramm reaktivieren und ausweiten.
5) Im Zuge des Stadtbahnkonzepts führen engagierte Bürgerinnen und Bürger einen konstruktiven Dialog mit den Bewohnern der betroffenen Stadtteile (Lehndorf, Volkmarode usw.). Wie stehen Sie zu einer erweiterten Bürgerbeteiligung, auch in Form von Bürgerentscheiden bzw. Bürgerbefragungen bei größeren kommunalen Bauprojekten (wie einer Stadtbahnstrecke)?
Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern möchte ich Braunschweig zu einer echten Bürgerkommune weiterentwickeln. Voraussetzung einer erfolgreichen Bürgerbeteiligung ist allerdings ein vernünftiges (angemessenes) Beteiligungsverfahren, das zum jeweiligen Einzelfall passt. Da gibt es in Braunschweig schon eine ganze Menge und manches soll jetzt auch in unserer Stadt erstmals erprobt werden (Bsp. „Bürgerhaushalt“). Die Politik des bisherigen Verwaltungschefs und der früheren Ratsmehrheit war in diesem Bereich leider nicht vorbildlich. Bürgerbeteiligung wurde eher willkürlich praktiziert – wenn sie taktisch ins Konzept passte, wurde sie massiv propagiert (Bsp. Bürgerbefragung zum Stadionausbau), tat sie das das nicht , wurde sie ebenso vehement bekämpft (Bsp. Bürgerbegehren zum ECE-Center und zur Bäderlandschaft).
Wir setzen uns dafür ein, dass künftig anders, konstruktiver und mit eindeutigen Regeln mit dem Thema Bürgerbeteiligung umgegangen wird. So haben wir beim Thema Stadtbahnausbau dafür gesorgt, dass das entsprechende Konzept unter intensiver Beteiligung der Braunschweiger Bürger/innen sowie von Fachleuten erstellt wird. Außerdem haben wir erfolgreich angeregt, dass der Rat noch vor einem Beschluss zur Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für eine (oder mehrere) der möglichen Stadtbahntrassen entscheidet, ob das Stadtbahnausbaukonzept Gegenstand einer Bürgerbefragung werden soll. Vor einer solchen Bürgerbefragung hätten wir keine Angst – im Gegenteil! So wie heute in Lehndorf oder Volkmarode gab es vor einem Jahrzehnt in Stöckheim großen Widerstand gegen die damals noch nicht erfolgte Stadtbahnverlängerung (Linie 1). Mittlerweile ist der Aufruhr verflogen und alle sind glücklich mit der verbesserten ÖPNV-Anbindung ihres Stadtteils. Für Stöckheim ein echter Standortvorteil!
6) Eine letzte Frage für Sie: Welches Thema liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen, dass nicht zu obiger Liste gehört?
Für mich steht das Thema Wohnraumversorgung ganz oben auf der Agenda. Durch den verstärkten Zuzug in unsere Stadt wächst der Druck auf den Wohnungsmarkt, bezahlbarer Wohnraum wird langsam zur Mangelware. Hier müssen wir gegensteuern und schnellstmöglich zusätzliche Angebote für alle Bevölkerungsgruppen schaffen. Wir müssen wieder stärker in die innerstädtischen Bereiche gehen und dort auch andere Wohnformen erproben. (In der Vergangenheit lag der Fokus leider allzu stark auf dem klassischen Einfamilienhaus am Stadtrand.) Große Chancen bietet hier das neue Stadtquartier „Nördliches Ringgebiet“.
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